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Wie ich meinem Enkel das Unbewusste erkläre

Wie ich meinem Enkel das Unbewusste erkläre

von Elisabeth Roudinesco

Taschenbuch
120 Seiten; 214 mm x 155 mm
Sprache Deutsch
2017 Sonderzahl
ISBN 978-3-85449-461-4

Besprechung

Kinder stellen gerne Fragen. Wenn sie klein sind, das bei Eltern auch gefürchtete "Warum?", wenn sie größer sind z.B.: "Haben Tiere ein Unbewusstes?" Da ist guter Rat teuer! Als wäre es nicht schon schwierig genug zu erklären, was unter dem Unbewussten zu verstehen ist.

Die französische Psychoanalytikerin Élisabeth Roudinesco, eine anerkannte Persönlichkeit auf diesem Gebiet, war offensichtlich für ihren Enkel eine beliebte und bewährte Anlaufstelle für Fragen solcher Art: "Was genau ist das Unbewusste?" Oder: "Wo kommt die Seele her?" Oder: "Sind Träume Teil der Realität?"

Seit Platon ist der literarisch gestaltete Dialog eine bewährte Methode, komplexe Sachverhalte lebendig und nachvollziehbar darzulegen. Im Humanismus und der Aufklärung erlebte der philosophisch-pädagogische Dialog-Text eine neue Blüte und bis heute greifen Autoren gerne auf dieses Genre zurück.

So auch Élisabeth Roudinesco, die mit "Wie ich meinem Enkel das Unbewusste erkläre" das weite Feld der Psychoanalyse anschaulich aufbereitet und das Phänomen, dass es eine Realität gibt, die man nicht sieht, die aber nichtsdestotrotz unsere Lebensweise bestimmt, zu erklären versteht. Das Wichtigste aber ist, dass sie in das geistige Universum der Jugendlichen von heute eintaucht, alte und moderne Mythen und Märchen miteinander in Beziehung setzt und so das Unbewusste lebendig werden lässt: Das Schicksal von Ödipus oder der Traum des biblischen König Nebukadnezar wird ebenso angesprochen wie Struwwelpeter, Star Wars oder Titanic.

Entstanden ist so ein Buch für Kinder, das kein Kinderbuch ist, und ein Buch für Erwachsene, das helfen könnte, anspruchsvolle Kinderfragen nicht unter Niveau zu beantworten.

Textauszug

"Was genau ist das Unbewusste?"
Es ist einem Eisberg ähnlich. Du weißt, dieser Berg aus Eis, der über dem Meeresspiegel auftaucht, in der Nähe des Nordpols: ein gefrorener, dahintreibender Block, spitz, massiv, mit Facetten oder erodiert. Stell dir dieses schöne leblose Objekt vor, eine Hälfte taucht ein in die Tiefe der Ozeane, während die andere auf der Wasseroberfläche schwimmt. Die beiden Hälften sind ungleich: der unsichtbare Teil ist wichtiger als der sichtbare, gefährlicher auch, weil er verborgen bleibt. Alle Seefahrer wissen es. Sie fürchten sich viel mehr vor dem, was versteckt ist als vor dem, was sichtbar ist. Das ist das Unbewusste, der eingetauchte Teil des weißen Berges, aus verschiedenen Etagen bestehend, mit Gräben, Stegen und Labyrinthen. Man kann ihn mit einem schwimmenden Haus vergleichen, dessen Umrisse man nicht festmachen kann, aber dessen Anwesenheit man spürt.

"Aber wie ist es möglich, dass dieses Haus gleichzeitig anwesend und abwesend ist, schwebend und stabil?"
Weil es ein Haus ist, das einem Boot ohne Steuer, ohne Segel, ohne Motor gleicht. Man kennt weder seine Form noch den Ort, an dem es vor Anker gehen könnte. In diesem Sinn ist das Unbewusste - dem Haus vergleichbar - ein Nicht-Bewusstsein, eine Aktivität, die der Vernunft entkommt. (...)

"Ist das Subjekt schon wieder etwas, das existiert und nicht existiert?"
Das Subjekt, das ist die Subjektivität, das heißt, das, was dir eigen ist. Sie hat verschiedene Facetten. Um dir ein amüsantes Beispiel zu geben: die Subjektivität gleicht einem Spiegelkabinett, das dich mal wie eine Spargel, mal wie ein Fass aussehen lässt.
(...)

"Dann wäre der Traum eine Prophezeiung?"
Der Traum sagt nichts voraus, er drückt etwas aus, das aus dem Unbewussten eines jeden kommt, aber er vermischt die Epochen, die Toten und die Lebenden, die Dinge und die Tiere, den Himmel, die Erde, das Meer. Er inszeniert Fabeln, die in der Wirklichkeit nicht existieren. In einem Traum sieht man Monster, Engel, Personen mit Augen anstelle der Füße, mit einem Geschlechtsteil anstelle eines Armes, Landschaften mit Hüten auf dem Kopf, Bäume aus denen Scheren wachsen, Vogelschnäbel auf Elefanten gesetzt, Villen die im Raum aufgehängt sind, Roboter die wie Menschen aussehen, Menschen mit Fischköpfen.

Biografische Anmerkung zu den Verfassern

Roudinesco, Élisabeth
Élisabeth Roudinesco, geb. 1944 in Paris, ist Psychoanalytikerin und Historikerin der Psychoanalyse. Von 1969 bis 1981 gehörte sie der von Jacques Lacan gegründeten »École freudienne de Paris« an. Sie war Mitglied der Redaktion der Zeitschrift »Action poétique«, später der Zeitschrift »L'homme« und arbeitete für Libération und »Le Monde«. Seit 1991 gibt sie Seminare über die Geschichte der Psychoanalyse an der Université Paris VII-Denis-Diderot. 2014 wurde ihr Essay »Sigmund Freud en son temps et dans le nôtre« mit dem »Prix Décembre« ausgezeichnet.